Ankommen als Adoptivfamilie: Wem erzähle ich was?

 


Wir hatten damals niemandem in unserer Familie oder in unserem Freundeskreis erzählt, dass wir ein Kind adoptieren möchten. Denn wir wollten nicht ständig gefragt werden: "Und, hat schon jemand angerufen? Wie lange werdet ihr wohl noch warten müssen?" Als wir dann den besagten Anruf erhielten, war es Zeit, unsere Familien und Freunde, unsere Arbeitgeber und auch die Nachbarn einzuweihen. Doch: Wem erzählen wir was? Und: Wie offen gehen wir mit dem Thema "Adoption" um?

Als wir die freudige Nachricht "verdaut" hatten, riefen wir damals gleich unsere Eltern an. Ich war da sehr direkt und bin sofort auf den Punkt gekommen: "Mama, Papa, wir wollten ja schon immer ein Kind. Heute sind wir nun Eltern geworden. Wir werden ein kleines Herzenskind adoptieren." Ja, überrascht waren meine Eltern, aber sie freuten sich riesig für uns und mit uns. Ich erläuterte ihnen dann im Schnelldurchgang den ganzen Ablauf – von der Bewerbung bis hin zum Anruf. Meine Schwester konnte es zunächst gar nicht glauben. Sie dachte, ich mache einen Witz. Als sie realisiert hatte, dass ich nicht spaße, hat sie nur noch geweint am Telefon – geweint vor Freude. Unseren engsten Freunden und weiteren Verwandten schickten wir ein Foto unseres Herzenskindes aus dem Krankenhaus mit den Worten: "Wir haben Zuwachs bekommen". Klar, es dauerte nur wenige Sekunden, bis jeder versuchte uns telefonisch zu erreichen. :-)

Es gab wirklich niemanden, der sich nicht mit uns freute. Auch unsere Arbeitgeber waren absolut "offen" für unseren Nachwuchs. Das war aus meiner Sicht nicht selbstverständlich – mein Mann und ich hatten zu diesem Zeitpunkt beide Führungspositionen im jeweiligen Unternehmen, mit keiner wirklichen Rückfallebene. Aber beide Chefs haben sich einfach nur für uns gefreut. Und fanden es großartig, dass wir ein Kind adoptieren möchten. Sie boten uns ihre volle Unterstützung an. Dafür bin ich ihnen auch heute noch sehr dankbar.

Zwei Wochen abgetaucht

Wir waren dann erst einmal zwei Wochen bei unserem Herzenskind im Krankenhaus. So lange musste es nach der Geburt noch dort bleiben. Es war, Gott sei dank, kerngesund, aber etwas leicht. Also vom Gewicht her. Und so mussten wir warten, bis auf der Waage die Zwei-Kilogramm-Marke erreicht war. Tag und Nacht waren wir bei ihm. Wir durften direkt neben seinem Bett auf einer Liege schlafen. Auch wenn ein Krankenhaus nicht der schönste Ort ist, rückblickend war die Zeit dort etwas Besonderes. Wir waren nur für uns. Wir konnten uns gegenseitig "beschnuppern", ein Gefühl für einander entwickeln. Das kleine Wesen konnte erst einmal ankommen. Und wir auch. Es konnte sich an seine "neuen" Eltern gewöhnen, kannte es doch bislang nur die Stimmen und die Nähe seiner leiblichen Eltern. Wir bauten langsam eine Bindung zueinander auf. Kuschelten viel. Fütterten unser Baby. Sangen die ersten Schlaflieder. Eine Bindung aufzubauen braucht Zeit. Zeit und viel Nähe. Erlebt doch jedes Adoptivkind gleich nach der Geburt einen ersten schweren Bindungsabbruch. Den zu seinen leiblichen Eltern. Wir wollten die erste Zeit einfach intensiv miteinander verbringen. Unserem kleinen Herzenskind das Gefühl geben: Wir sind da. Wir sind ab heute immer für dich da.

Ankunft zu Hause und die neugierigen Blicke

Dann ging es nach Hause. Dort beschäftigten wir uns dann das erste Mal so richtig mit den Fragen: Wem sagen wir, dass unser Kind adoptiert ist? Und: Wem sagen wir was? Da das kleine Wesen in Form einer vertraulichen Geburt auf die Welt kam, wussten wir einiges über die leiblichen Eltern. Für uns war eigentlich immer klar, dass wir offen mit dem Thema umgehen werden. Aber wie offen sollte man sein? Gibt es nicht Informationen, die nur unser Herzenskind und uns als Eltern etwas angehen? Die Adoptionsvermittlungsstelle riet uns, offen zu sein, aber kein Schild um dem Hals zu tragen mit der Aufschrift: "Unser Kind ist übrigens adoptiert". Wir sollten Informationen über die Herkunft des Kindes nicht jedem erzählen - zum Schutz des Kindes und zum Schutz der leiblichen Eltern.

Nun, am Anfang war das für uns absolutes Neuland. Wir überlegten immer wieder ganz genau, wem erzählen wir es, wem nicht. Wir machten uns hier viel zu viele Gedanken. Heute ist das Thema für uns im Alltag angekommen. All unsere Nachbarn, all unsere Freunde und engen Bekannten wissen es. Sie wissen, dass wir mittlerweile zwei Kinder adoptiert haben und dass diese im Rahmen einer vertraulichen Geburt zur Welt gekommen sind. Menschen, die wir nicht oft sehen, die keinen großen Anteil an unserem Leben haben, denen haben wir es nicht erzählt. Sie haben auch nie gefragt. Und: Warum soll ich mir dann dieses Schild umhängen? Wenn Menschen nachfragen, also z. B. Fragen stellen wie "Wie war die Schwangerschaft? Wie war die Geburt?", wenn wir hier tiefer in einem Gespräch sind, dann erzähle ich es. Warum nicht? Es ist für uns kein Tabuthema. Kein Geheimnis. Es ist Teil unserer Geschichte. Teil unserer Familie. Wir sind, wer wir sind. Und wir lieben uns so, wie wir sind. Wir finden es wichtig, dass es bestimmte Menschen proaktiv von uns erzählt bekommen. Wie zum Beispiel die Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten. Denn: Meine Kinder haben, wie die meisten Adoptivkinder, ein Bindungsthema. Uns war es daher wichtig, dass die Eingewöhnung langsam verläuft. Behutsam. Achtsam. Denn beiden ist die Trennung, vor allem von mir, sehr schwer gefallen. Und: Wenn meine zwei irgendwann mal von ihrer Bauchmama erzählen, wissen die Erzieherinnen und Erzieher auch Bescheid. Können mit ihnen darüber sprechen. Können darauf besser eingehen.

Über ganz persönliche Details der Adoption, z. B. wer die leiblichen Eltern sind und welches Pseudonym sie gewählt haben, sprechen wir nicht. Unsere Eltern und enge Freunde kennen ein paar Hintergründe. Aber nur oberflächlich. Alles Weitere erzählen wir nur einer Person - nämlich unserem Herzenskind. Wir verwahren alle Informationen in seiner Erinnerungskiste aus Holz auf. Dort liegen die ersten Strampler, das Bändchen aus dem Krankenhaus und alle Informationen, die wir über die leiblichen Eltern erfahren haben. Allein unser Herzenskind darf entscheiden, wem es was irgendwann mal erzählen möchte. Es ist ja schließlich sein Leben. Seine Geschichte.

Aus Liebe zu ihrem Kind - unserem Herzenskind

Was wir allerdings erzählen, ist, dass die leiblichen Eltern unserer beiden Herzenskinder aus Liebe gehandelt haben. Aus Liebe zu ihrem Kind haben sie sich entschieden, es in eine Herzensfamilie zu geben. Es zur Adoption freizugeben. Das ist uns tatsächlich sehr wichtig. Es gab nämlich Menschen, denen wir von der Adoption unserer Kinder erzählt haben und die mit den Worten geantwortet haben: "Also, was ist das für eine Mutter, die ihr Kind einfach weggibt!" Das wollten wir nie so stehen lassen. Denn: Ist es nicht bedingungslose Liebe, wenn ich mich bewusst dafür entscheide, ein Kind auszutragen, es nicht, salopp gesagt, "wegmachen" lasse, damit es leben kann, obwohl ich weiß, dass ich es nicht behalten kann? Und ist es nicht bedingungslose Liebe, wenn ich für mein Kind sorge, mich um das kleine Lebewesen in meinem Bauch kümmere? Und ist es nicht bedingungslose Liebe, für mein Kind das bestmöglichste Zuhause zu finden? Eine Familie zu finden, die es liebt, die ihm das bieten kann, was es verdient? Und ist es nicht bedingungslose Liebe, wenn ich mich bereits vor der Geburt darum kümmere, dass es dem kleinen Wesen danach gut geht? Ich finde dazu gehört viel Mut und vor allem Liebe. Ich bin den leiblichen Eltern meiner beiden Herzenskinder sehr dankbar für alles, was sie für unsere beiden Kleinen getan habe. Und dieses Schild hänge ich mir gerne um den Hals.

Wie geht ihr mit dem Thema "Adoption" um? Wem erzählt ihr was? Schreibt mir gerne einen Kommentar oder schickt mir eine E-Mail an herzensfamilie@gmx.de. 

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